BODHICITTAVIVARANA Erläuterung des Erleuchtungsgeistes

(Verfasst von Nagarjuna)
Im Sanskrit: Bodhicittavivarana
Auf Tibetisch: Byang chub sems kyi ’grel pa
[Auf Deutsch: Erläuterung des Erleuchtungsgeistes]

Ich verneige mich vor dem glorreichen Vajrasattva.
Es wurde gesagt:
Der eigene Geist, frei von allen Dingen,
der Aggregate, Elemente und Sinnesquellen,
Objekt und Subjekt beseitigt hat,
da alle Phänomene gleichermaßen ohne Selbst sind, ist seit jeher nichts Geschaffenes.
Seine Natur ist die der Leerheit.
So wie die erhabenen Buddhas und großartigen Bodhisattvas den Geist der großen Erleuchtung entwickelt haben, so werde auch ich von jetzt an, bis ich die Essenz der Erleuchtung erreiche, den Geist der großen Erleuchtung entwickeln, auf dass ich diejenigen, die noch nicht befreit worden sind, befreie, auf dass die Nicht-Erlösten Erlösung finden, auf dass jene, die keine Erleichterung finden, aufatmen können und jene, die noch nicht vollständig über das Elend hinausgelangt sind, vollständig über das Elend hinausgelangen.
Bodhisattvas, die mittels des Geheimen Mantra praktizieren, müssen, nachdem sie den konventionellen Erleuchtungsgeist in seiner anstrebenden Natur entwickelt haben,
kraft meditativer Übung den endgültigen Erleuchtungsgeist entwickeln. Darum will ich dessen Natur hier erklären.
1.
Ich verneige mich vor den glorreichen Unzerstörbaren, die den Erleuchtungsgeist verkörpern,
und werde hier die Entwicklung des Erleuchtungsgeistes erklären, der samsarischer Existenz ein Ende setzt.
2.
Die Buddhas gehen davon aus, dass der Erleuchtungsgeist nicht von den konzeptionellen Vorstellungen
eines „Selbst“, der „Aggregate“ und dergleichen behindert wird und stets das Merkmal der Leerheit hat.

3.
Mit einem von Mitgefühl benetztem Geist
solltet ihr euch bemühen, den Erleuchtungsgeist zu entwickeln. Die Buddhas, die das Mitgefühl verkörpern,
entwickeln ihn immerzu.
4.
Untersucht ihr mittels der Logik gründlich das Selbst, das die Tirthikas postulieren, werdet ihr es in den Aggregaten
an keiner Stelle irgendwo finden.
5.
Die Aggregate existieren, doch sind sie nicht beständig, auch haben sie nicht das Wesen eines Selbst.
Etwas Beständiges und Unbeständiges existieren
nicht als Grundlage bzw. als das darauf Beruhende.
6.
Wenn das sogenannte „Selbst“ nicht existiert,
wie kann der sogenannte „Handelnde“ beständig sein?
Nur wenn etwas, das Eigenschaften hat, existiert,
vermag man, dessen Eigenschaften in der Welt zu untersuchen.
7.
Da etwas Beständiges weder aufeinanderfolgend noch gleichzeitig wirksam ist,
kann ein solch beständiges Ding
weder innen noch außen existieren.
8.
Hätte es [inhärentes] Potenzial, wie könnte es abhängig sein? Es brächte [alle] Dinge auf einmal hervor.
Was von anderen Dingen abhängig ist,
ist weder beständig noch hat es [inhärentes] Potenzial.
9.
Ist etwas ein wirksames Ding, so ist es nicht beständig,
denn wirksame Dinge bestehen immer nur für einen Augenblick. Darum wird in Hinsicht auf unbeständige Dinge
auch nicht verneint, dass sie etwas hervorbringen.
10.
Diese Welt, die frei vom Selbst und dergleichen ist,
wird überwältigt von der Wahrnehmung der Aggregate,
der Elemente und Sinnesquellen, des Objekts und des Subjekts. Sie wird überwältigt von der Wahrnehmung.

11.
Die [Buddhas], die danach streben, [den Lebewesen] zu nutzen, lehrten darum die Shravakas
die fünf Aggregate – Form, Empfindung, Unterscheidung, gestaltende Faktoren und Bewusstsein.
12.
Die Besten der Menschen lehrten stets auch:
„Formen erscheinen wie eine Masse von Schaum Empfindungen ähneln Blasen im Wasser
unterscheidende Wahrnehmungen sind wie Luftspiegelungen.
13.
Gestaltende Faktoren ähneln dem [kernlosen] Holz des Bananenbaumes, Bewusstsein ist wie eine magische Illusion.“
So lehrten [die Buddhas] die Bodhisattvas
über die Aggregate.
14.
Das, was die Natur der vier großen Elemente hat, wird deutlich als das Aggregat der Form erklärt. Die Übrigen gelten somit
unweigerlich als formlos.
15.
Dadurch sind Augen, sichtbare Formen und dergleichen, die als die achtzehn Komponenten beschrieben werden, auch als die [zwölf] Sinnesquellen
sowie als Objekte und Subjekte zu verstehen.
16.
Weder die Atome der Form noch die Sinneskräfte existieren. Eine Sinneskraft, die etwas hervorbringt, existiert keineswegs. Das Erzeugende und das Erzeugte
sind ungeeignet für wahre Erzeugung.
17.
Die Atome der Form bewirken keine Sinneswahrnehmung,
denn sie liegen jenseits des Sinnesvermögens.
[Nimmt man an, die Atome] erzeugen sie durch ihr Zusammenkommen, so wird auch [ein solches Erzeugen durch] Anhäufung nicht akzeptiert.
18.
Durch das Aufteilen in räumliche Dimensionen
sieht man, dass selbst das Atom Bestandteile hat.
Wie könnte etwas, das hinsichtlich seiner Teile untersucht werden kann, als [unteilbares] Atom gelten?

19.
In Hinblick auf ein einziges äußeres Objekt entstehen verschiedene Wahrnehmungen. Eine Form, die einige schön finden,
mag für andere etwas anderes sein.
20.
In Hinblick auf denselben weiblichen Körper
gibt es drei verschiedene Sichtweisen:
für einen Asketen ist er „eine Leiche“, für einen Liebhaber „begehrenswert“ und für einen wilden Hund „Futter“.
21.
„Es ist die Gleichartigkeit des Objekts, die wirksam ist.“
– [Doch] ist das nicht so, als erleide man Schaden im Traum? Zwischen dem Traum und dem Wachzustand gibt es bezüglich der Wirksamkeit der Dinge keinen Unterschied.
22.
In Hinblick auf Objekte und Subjekte, was immer dem Bewusstsein erscheint, gibt es nirgendwo ein äußeres Objekt, das getrennt vom Bewusstsein existiert.
23.
Die völlige Nichtexistenz äußerer Objekte
ist also die Wesensart der Dinge.
Die Erscheinungen für das jeweilige Bewusstsein treten als Erscheinungen von Formen auf.
24.
So wie eine Person mit verwirrtem Geist
magische Illusionen, optische Täuschungen,
Städte von Gandharva-Geistern und dergleichen sieht, so werden auch Formen und so weiter wahrgenommen:
25.
Um das Festhalten am Selbst zu überwinden,
wurden die Aggregate, Elemente und so weiter gelehrt. Indem sie bei der Nur-Geist[-Lehrmeinung] verbleiben geben die vom Glück Begünstigten sogar diese [Lehre] auf.
26.
Für jene, die die [Nur-]Geist[-Lehrmeinung] verkünden, existiert die Vielfalt der Dinge [nur] als Bewusstsein. Was ist die Natur dieses Bewusstseins?
Eben dies werde ich nun erklären.

27.
„All dies ist nur der Geist.“
Der Fähige Buddha lehrte dies,
um kindischen Wesen die Angst zu nehmen.
Er [schilderte damit jedoch] nicht die Wirklichkeit.
28.
Das Zugeschriebene, das Bedingte
und das Vollständige:
Ihre Essenz ist einzig die der Leerheit,
ihre Wesensart wird vom Bewusstsein erstellt.
29.
Jene, die dem universellen Fahrzeug zugetan sind, lehrte der Buddha in wenigen Worten,
dass Phänomene gleich sind in ihrem Nicht-Selbst und dass der Geist von Anbeginn nichts Erzeugtes ist.
30.
Die Yogacharins sagen:
Ein reiner Geist — erwirkt durch Kontrolle über den eigenen Geist und völlige Veränderung seines Zustands —
ist die Sphäre des eigenen selbst-erkennenden Gewahrseins.
31.
Das Vergangene existiert nicht mehr,
was in der Zukunft liegt, ist noch nicht erreicht;
wie soll etwas in der Gegenwart existieren,
wenn seine Grundlage sich völlig ändert, während es verweilt?
32.
So, wie es ist, erscheint es nicht,
und wie es erscheint, so ist es nicht.
Die Wesensart des Bewusstseins ist das Nicht-Selbst; das Bewusstsein hat keine andere Grundlage.
33.
In der Nähe eines Magneten bewegt Eisen sich rasch nach vorn. Auch wenn es keinen Geist hat, scheint es so, als besäße es einen.
34.
Ähnlich ist das grundlegende achte Bewusstsein: Es scheint wirklich zu sein, ist es jedoch nicht.
Es bewegt sich vor und zurück
und hält so fest an samsarischer Existenz.

35.
So wie das Meer und die Bäume sich bewegen,
auch wenn sie keinen Geist haben,
so bewegt sich das grundlegende achte Bewusstsein in Abhängigkeit vom Körper.
36.
Bedenkt ihr, dass es
ohne Körper kein Bewusstsein gibt –
so sagt doch: Was ist die Wahrnehmung dieses sich selbst-erkennenden Gewahrseins?
37.
Beschreibt ihr es als selbst-erkennendes Gewahrsein, so erklärt ihr es zu einem Ding.
Sagt ihr: „Es ist dies“,
beschreibt ihr es als „unvermögend“.
38.
Um selbst Gewissheit zu erlangen
und anderen Gewissheit zu verschaffen, gehen die Gelehrten stets
auf fehlerlose Weise vor.
39.
Ein Bewusstsein erkennt ein Erkenntnisobjekt; ohne Erkenntnisobjekt gibt es kein Bewusstsein. Warum also akzeptiert ihr nicht, dass weder
das Betrachtende noch das Betrachtete existieren?
40.
Der Geist ist ein bloßer Name;
anders als ein Name existiert er nicht.
Betrachtet das Bewusstsein als bloßen Namen;
auch der Name existiert nicht durch seine eigene Natur.
41.
Weder innen noch außen
noch irgendwo dazwischen
haben die Siegreichen Buddhas den Geist gefunden; der Geist hat also die Natur einer Illusion.
42.
Die Unterteilung in Farbe und Form,
in Objekt und Subjekt
oder in Mann, Frau, Zwitter und dergleichen
– der Geist verweilt nicht in solchen Wesensarten.

43.
Kurzum: Die Buddhas haben [einen solchen Geist]
nie gesehen, noch werden sie ihn jemals sehen.
Wie könnten sie etwas, das nicht durch seine eigene Natur existiert, als etwas wahrnehmen, das durch seine eigene Natur existiert?
44.
Ein „wirksames Ding“ ist ein begriffliches Konzept.
Die Abwesenheit von begrifflichen Konzepten ist die Leerheit. Wie könnte es die Leerheit dort geben,
wo begriffliche Konzepte erscheinen?
45.
Die Tathagatas betrachten den Geist nicht unter dem Aspekt von Wahrnehmbarem und Wahrnehmendem.
Wo sich Wahrnehmbares und Wahrnehmender befinden,
da gibt es keine Erleuchtung.
46.
Frei von Merkmalen, frei von Entstehen,
frei von substanzieller Wirklichkeit und jenseits von Sprache — Raum, Bodhicitta und Erleuchtung
haben die Merkmale der Nicht-Dualität.
47.
Buddhas — die großartigen Wesen,
die im Herzen der Erleuchtung verweilen —
und all jene, die von Zuneigung erfüllt sind,
wissen zu allen Zeiten, dass Leerheit so wie Raum ist.
48.
Darum meditiert stets über die Leerheit,
die die Grundlage aller Phänomene ist.
Sie ist friedvoll, einer Illusion ähnlich, ohne Basis und das, was samsarischer Existenz ein Ende setzt.
49.
Sie wird als „nicht erzeugt“,
„Leerheit“ oder „Nicht-Selbst“ bezeichnet.
Wer über eine Leerheit geringerer Art meditiert, der meditiert nicht über sie.
50.
Begriffliche Konzepte von Tugend und Untugend haben die Merkmale des Zerfalls
Die Buddhas sprachen von ihrer Leerheit.
Eine Leerheit, anders als diese, wird nicht erwägt.

51.
Das Verweilen des Geistes ohne ein Objekt
hat das Merkmal von Raum.
Sie gehen also davon aus, dass die Meditation
über die Leerheit eine Meditation über den Raum ist.
52.
Der Löwenruf der Leerheit
verschreckt all jene, die Behauptungen aufstellen. Wo immer sich diese befinden,
da wird auch die Leerheit sein.
53.
Für jene, für die sich der Geist von Augenblick
zu Augenblick verändert, kann er nicht beständig sein. Ist der Geist unbeständig, wie könnte er
im Widerspruch zur Leerheit stehen?
54.
Kurz gesagt: Gehen die Buddhas davon aus, dass der Geist unbeständig ist,
wie könnten sie dann nicht davon ausgehen, dass er leer [von inhärenter Existenz] ist?
55.
Von Anbeginn an hat der Geist
nie eine eigene Natur gehabt.
Es wird nicht behauptet, dass etwas, das durch seine eigene Natur existiert, ohne eigene Natur sei.
56.
Bringt man dies zum Ausdruck, wendet man sich davon ab, dass der Geist der Sitz des Selbst ist. Es ist nicht die Eigenschaft der Dinge,
sich jenseits ihrer eigenen Natur zu befinden.
57.
So, wie Süße die Natur der Melasse und Hitze die des Feuers ist,
so halten wir die Leerheit
für die Natur aller Phänomene.
58.
Spricht man von Leerheit als die Natur [der Phänomene], vertritt man damit keineswegs eine Form des Nihilismus, ebenso wie man auch nicht
eine Form der Verdinglichung vertritt.

59.
Beginnend mit Unwissenheit bis hin zu Altern und Tod betrachten wir alle Vorgänge, die aus
den zwölf Gliedern abhängigen Entstehens hervorgehen, als ähnlich einem Traum oder einer Illusion.
60.
Dieses Rad der zwölf Glieder des abhängigen Entstehens rollt den Pfad samsarischer Existenz entlang.
Außerhalb dessen können die fühlenden Wesen
nicht die Wirkungen ihrer Handlungen erfahren.
61.
So wie in Abhängigkeit eines Spiegels
das Abbild eines Gesichts erscheint.
Das Gesicht hat sich nicht in den Spiegel begeben, doch ohne es gäbe es nicht sein Abbild.
62.
Auf ähnliche Weise treten die Aggregate in ein neues Leben ein, und die Weisen sind sich stets gewiss,
dass jemand weder in einer anderen Existenz geboren
noch in eine solche Existenz überführt wird.
63.
Kurzum: Aus leeren Phänomenen
gehen leere Phänomene hervor.
Handelnder, Handlungen, Wirkungen und jene, die sie erleben – diese lehrten die Siegreichen Buddhas als konventionell existent.
64.
So, wie der Klang einer Trommel oder ein Keimling
aus einer Ansammlung [von Ursachen] entsteht,
so akzeptieren wir die äußere Welt des abhängigen Entstehens als ähnlich einem Traum oder einer Illusion.
65.
Dass Phänomene aus Ursachen entstehen,
kann niemals zum Widerspruch werden.
Da eine Ursache leer von einer [inhärenten] Ursache ist, erkennen wir, dass sie ohne [inhärentes] Entstehen ist.
66.
Das nicht[-inhärente] Entstehen der Phänomene wird deutlich als ihre Leerheit erklärt.
Kurzum: Die fünf Aggregate werden
als „alle Phänomene“ beschrieben.

67.
Wird die Realität erklärt, so wie sie ist, wird das Konventionelle nicht untergraben. Getrennt vom Konventionellen
ist die Realität nicht zu finden.
68.
Das Konventionelle wird als Leerheit beschrieben; die Leerheit selbst ist das Konventionelle.
Das eine kommt nicht ohne das andere vor,
ähnlich dem Erschaffenen und dem Unbeständigen.
69.
Das Konventionelle entsteht aus Verblendungen und Karma. Karma hat seinen Ursprung im Geist.
Der Geist bildet sich durch Prägungen.
Frei von Prägungen zu sein, ist der Zustand des Glücks.
70.
Ein glücklicher Geist ist friedvoll.
Ein friedvoller Geist ist nicht verwirrt.
Ohne Verwirrung zu sein, heißt, die Realität zu erkennen. Durch die Erkenntnis der Realität, erlangt man Befreiung.
71.
Es wird als Soheit, Grenze der Wirklichkeit, Merkmalslosigkeit, letztendliche [Wahrheit], höchster Erleuchtungsgeist
und auch als Leerheit beschrieben.
72.
Diejenigen, die die Leerheit nicht kennen,
sind kein Gefäß für die Befreiung.
Diese Verwirrten kreisen im Gefängnis
der sechs samsarischen Formen der Existenz.
73.
Wenn die Yogis über
diese Leerheit meditiert haben,
entsteht in ihnen zweifellos ein Geist,
dem das Wohl der anderen am Herzen liegt:
74.
„Jenen fühlenden Wesen gegenüber, die mir als meine Eltern, Verwandte und Freunde einst Hilfe erwiesen, werde ich mich für das,
was sie taten, erkenntlich zeigen.“

75.
„Es ist angebracht, dass ich den fühlenden Wesen,
die im Gefängnis samsarischer Existenz vom Feuer
der Verblendungen gequält werden,
[jetzt] Glück schenke, so wie ich ihnen [einst] Leid antat.“
76.
Die Ergebnisse, welche in Form von glücklicher oder elender weltlicher Existenz erwünscht bzw. unerwünscht sind, entstehen dadurch, dass den fühlenden Wesen
Nutzen erwiesen oder geschadet wird.
77.
Da der unübertreffliche Zustand der Buddhaschaft
in Anlehnung an fühlende Wesen erreicht wird,
was ist dann so erstaunlich daran, dass es
in Hinsicht auf menschliche und göttliche Vergnügen,
78.
an denen sich Brahma, Indra, Rudra
und die Beschützer der Welt erfreuen,
in den drei weltlichen Bereichen nichts gibt, das nicht allein dadurch zustande gekommen ist, dass den fühlenden Wesen Nutzen erwiesen wurde?
79.
Die vielen Formen des Leidens,
die die Wesen in den Höllenbereichen,
als Tier und als Hungergeister erleben,
entstehen daraus, dass anderen geschadet wurde.
80.
Hunger, Durst und die Leiden
des gegenseitigen Angriffs und der Unterdrückung, welche schwer zu vermeiden und endlos sind, resultieren davon, fühlenden Wesen zu schaden.
81.
[So wie es auf der einen Seite] die Buddhaschaft, Bodhicitta
oder Geburt in einem glücklichen Bereich und
[auf der anderen Seite] Geburt in einem der elenden Bereiche gibt, so solltet ihr wissen, dass [die Handlungen] fühlender Wesen auf zweifache Weise heranreifen.
82.
Unterstützt [andere] mit allen Mitteln und beschützt sie wie euren eigenen Körper. Desinteresse an den fühlenden Wesen ist sorgfältig zu vermeiden wie Gift.

83.
Erlangten die Shravakas nicht aufgrund
ihrer Zurückhaltung die geringere Erleuchtung?
Die vollkommene Erleuchtung eines Buddhas wird erlangt, indem fühlende Wesen in keinster Weise aufgegeben werden.
84.
Wie könnten jene, die die Folgen hilfreicher
und nicht-hilfreicher Taten erwägen,
auch nur für einen Augenblick
darin verweilen, am eigenen Wohlergehen zu hängen?
85.
Tief verwurzelt aufgrund von Mitgefühl
und aus dem Keimling des Erleuchtungsgeistes entstanden
ist das Erwachen, welches das Ergebnis des Bestrebens nach dem Wohlergehen anderer ist — es wird von den Nachkommen der Buddhas praktiziert.
86.
Wenn sie mittels der Meditation darin gefestigt sind, lassen sie — in Sorge über das Leiden der anderen — vom Glückszustand der meditativen Konzentration ab und begeben sich sogar in den schonungslosen Höllenbereich.
87.
Dies ist wunderbar, es ist lobenswert,
es ist die herausragende Vorgehensweise erhabener Wesen. Dass sie ihren Körper und ihre Reichtümer
hergeben, ist nicht überraschend.
88.
Jene, die die Leerheit der Phänomene verstehen und
[doch] das Gesetz von Karma und seinen Ergebnissen befolgen, sind wunderbarer als wunderbar und
erstaunlicher als erstaunlich!
89.
Jene, die den Wunsch hegen, fühlende Wesen zu schützen, werden
— auch wenn sie im Morast der samsarischen Existenz wiedergeboren werden — von den dort auftretenden Makeln nicht beeinträchtigt,
ähnlich den Blütenblättern eines Lotus, der in [schlammigem] Wasser wächst.
90.
Obwohl die Nachkommen der Siegreichen Buddhas wie Samantabhadra das Brennholz der Verblendungen mit dem Feuer
der ursprünglichen Weisheit verbrannt haben,
sind sie doch vom Mitgefühl benetzt.

91.
Durch die Kraft des Mitgefühls stellen sie
das Verlassen [des reinen Bereichs] dar sowie Geburt, Vergnügung, den Verzicht auf Königtum, Askese, das große Erwachen, den Sieg über Maras,
92.
das Drehen des Dharma-Rades,
Eintritt in das Reich aller Gottheiten und auch die Darstellung
des Eingangs in Nirvana.
93.
Erscheinend in der Gestalt von Brahma, Indra, Vishnu,
des zornvollen Rudra und anderen mehr
vollführen sie mit Handlungen, die umherwandernde Wesen bändigen, den Tanz, der von der Natur des Mitgefühls ist.
94.
Um denen, die des Pfades samsarischer Existenz überdrüssig sind, Erleichterung zu verschaffen, wurden zwei Weisheiten gelehrt,
die [indirekt] zum Großen Fahrzeug führen,
[doch] diese sind nicht letztendlich.
95.
Solange sie sich nicht von den Buddhas [zum Eintritt in das Große Fahrzeug] inspiriert fühlen, verweilen die Shravakas
in einem körperlichen Zustand von Weisheit,
überwältigt von dem Rausch meditativer Versenkung.
96.
Doch fühlen sie sich inspiriert, wenden sie sich
in verschiedenen Formen dem Wohl der Lebewesen zu, und haben sie Verdienst und Weisheit angesammelt, erlangen sie die Erleuchtung eines Buddha.
97.
Da es die Prägungen der zwei [Hindernisse] gibt,
werden die Prägungen als Samen beschrieben.
Kommen diese Samen mit den [entsprechenden] Bedingungen zusammen, wird der Keimling samsarischer Existenz erzeugt.
98.
Die von den Beschützern der Welt gelehrten [Pfade],
die der Denkweise der fühlenden Wesen entsprechen,
sind aufgrund der zahlreichen [von den Buddhas dargestellten] Methoden äußerst unterschiedlich [für die verschiedenen Wesen] in der Welt.

99.
[Die Lehren] sind in tiefgründig und weitreichend unterteilt;
einige haben beide Merkmale.
Obwohl sie unterschiedlich dargestellt werden,
unterscheiden sie sich nicht darin, dass sie leer und nicht-dualistisch sind.
100.
Die Allwissenden lehrten, dass die Kräfte
des Erinnerungsvermögen, sowie die [Bodhisattva-]Ebenen und die Vollkommenheiten eines Buddhas
Aspekte des Erleuchtungsgeistes sind.
101.
Hinsichtlich jener, die mit Körper, Sprache und Geist stets zum Wohl der Lebewesen wirken,
und sich für Erörterungen über die Leerheit einsetzen, ist es unbestritten, dass sie keine Nihilisten sind.
102.
Großartige Wesen verweilen
weder im Daseinskreislauf noch im Nirvana. Darum lehrten die Buddhas
hier das Nirvana des Nicht-Verweilens.
103.
Der einzigartige Geschmack des Mitgefühls ist das Verdienst; der Geschmack der Leerheit ist der Höchste.
Jene, die [dies] zu ihrem und zum Wohl anderer zu sich nehmen, sind Nachkommen der Buddhas.
104.
Verneigt euch vor ihnen mit eurem ganzen Wesen.
Sie sind in den drei samsarischen Existenzen stets der Ehrerbietung würdig. Diese Wegweisenden der Welt
verweilen als Vertreter der Buddhas.
105.
Es wird erklärt, dass der Erleuchtungsgeist
im universellen Fahrzeug das Höchste ist.
Durch die Tatkraft des meditativen Gleichgewichts entwickle den Erleuchtungsgeist.
106.
Es gibt keine andere Methode auf der Welt,
um das eigene Wohl und das der anderen zu verwirklichen. Abgesehen von dem Erleuchtungsgeist
sahen die Buddhas bislang keine solche Methode.

107.
Würde die Anhäufung von Verdienst, die allein
durch das Erzeugen des Erleuchtungsgeist erlangt wird, Form annehmen, würde sie mehr
als den gesamten Himmelsraum ausfüllen.
108.
Wer auch nur für einen Augenblick
über den Erleuchtungsgeist meditiert,
erzeugt eine Anhäufung von Verdienst,
die nicht einmal die Buddhas ermessen können.
109.
Ein kostbarer Geist, frei von Verblendungen,
dies ist ein höchst einzigartiges Juwel,
das von Räubern, wie dem Mara der Verblendungen, weder beschädigt noch entwendet werden kann.
110.
So unerschütterlich, wie die Bestrebungen der Buddhas und Bodhisattvas hinsichtlich des Daseinskreislaufs sind, so sollte der Entschluss jener sein,
die sich dem Erleuchtungsgeist widmen.
111.
Voller Hochachtung bemüht euch, so wie es erklärt wurde,
sodass ihr daraufhin selbst Samantabhadras Taten realisiert.
112.
Durch den unvergleichlichen Verdienst, den ich dadurch erlangte,
dass ich den von den erhabenen Buddhas gerühmten Erleuchtungsgeist pries,
mögen alle fühlenden Wesen, die in den stürmischen Wellen des Ozeans der samsarischen Existenz versinken, den Pfad gehen, den der Höchste der Menschen lehrte.
Dies beendet [den Text] „Erläuterung des Erleuchtungsgeistes“, den der große Meister Arya Nagarjuna verfasste. Er wurde vom indischen Abt Gunakara und dem Übersetzer Rabzhi Shenyen übersetzt und bearbeitet. Später wurde er von dem indischen Abt Kanakavarma und dem Übersetzer Patsan Nyima Drak überarbeitet.
(Aus dem Tibetischen ins Deutsche übersetzt von Geshema Kelsang Wangmo im Jahr 2018 und nochmals von ihr überarbeitet im November 2020.)

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